09. Januar 2025
Die Dermatologie im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz
Ein Gespräch mit Prof. Dr. Holger Hänßle,
Universität Heidelberg
Medizin und Künstliche Intelligenz (KI) wachsen immer enger zusammen, auch in der Dermatologie. Prof. Dr. Holger Hänßle hat dieses innovative Forschungsgebiet maßgeblich geprägt und mit seinem Team in Heidelberg zahlreiche wegweisende Studien veröffentlicht. In unserem Interview spricht er über seinen Werdegang, die Erfahrungen mit FotoFinder, die Potenziale der KI und die Veränderungen in der Dermato-Onkologie.
FF Herr Prof. Dr. Hänßle, wie sind Sie zur Dermatoskopie gekommen?
Prof. Dr. Holger Hänßle Ich war schon immer ein visuell ausgerichteter Mensch und alles, was mit Morphologie-Erkennung zu tun hat, hat mir immer gelegen. Deswegen schwankte ich im Studium zwischen Radiologie und Dermatologie. Da die Interaktion mit den Patienten in der Radiologie ein bisschen fehlt, ist es die Dermatologie geworden. Meine Computer- und Technikaffinität führte mich dann zum Videodermatoskop, einem Gerät, mit dem man sich austoben konnte, auch technisch.
FF Seit wann forschen Sie auf dem Gebiet der KI? Wie kamen Sie zu diesem Thema?
Prof. Dr. Holger Hänßle Ich habe jahrelang dermatoskopisch gearbeitet und veröffentlicht, vor allem im Bereich der sequenziellen digitalen Dermatoskopie. Damals hatten wir schon einen FotoFinder mit dem Moleanalyzer. Als 2017 die Studie von Andre Esteva aus Stanford in Nature* herauskam, war mir klar: Jetzt ist es so weit, dass die Künstliche Intelligenz auf dem gleichen Level wie gut ausgebildete Dermatologen arbeiten kann. Anschließend sind wir voll in das Thema eingestiegen und waren 2018 mit unserer ersten Publikation** sozusagen die Zweiten, die zu diesem Thema veröffentlichten. Wir konnten die Stanford-Ergebnisse bestätigen und haben viel Aufmerksamkeit bekommen, weil wir gezeigt haben, dass das Stanford-Ergebnis mit einem ganz anderen Algorithmus aus einem ganz anderen Land reproduzierbar ist.
* “Dermatologist-level classification of skin cancer with deep neural networks”, Esteva et al., 2017
** “Man against machine”, Annuals of Oncology
FF Wann und wodurch kreuzten sich Ihre Wege mit FotoFinder?
Prof. Dr. Holger Hänßle Das war schon sehr früh, als ich noch ein ganz junger Assistenzarzt an der Universität Göttingen war. Wir hatten da kein richtiges Gerät, und so habe ich Herrn Mayer senior einen Brief geschrieben und um ein System für unsere wissenschaftliche Arbeit gebeten. Dann haben wir tatsächlich ein Leihgerät bekommen, und seitdem war ich mit FotoFinder immer sehr verbunden.
FF Was an der KI beeindruckt Sie am meisten?
Prof. Dr. Holger Hänßle Beeindruckend ist, dass die KI nie etwas vergisst. Ich frage bei meinen Vorträgen immer: Wie viele Melanome haben Sie gesehen oder wie viele kann ein Dermatologe in seinem Leben überhaupt sehen? Ich denke, das ist beschränkt auf einige Tausend. Und wenn man überlegt, dass die FotoFinder KI mehr als 180.000 Bilder im Training hat, die nicht vergessen werden, dann ist das natürlich der große Vorteil, warum so ein Algorithmus am Ende auch einen Arzt übertreffen kann.
FF Wem würden Sie den Einsatz der KI empfehlen? Auch Dermatoskopie-Expertinnen und -Experten?
Prof. Dr. Holger Hänßle Ja, auch Dermatoskopie-Experten, denn verschiedene Studien haben eindeutig gezeigt, dass selbst Top-Spezialisten ihre Leistung mit KI verbessern können. Aber wenn Sie mich fragen, sind es natürlich eher die Anfänger oder die Ärzte mit einer durchschnittlichen Erfahrung, die am meisten profitieren. Selbst als Experte bin ich manchmal unsicher, dann schalte ich die KI für eine zweite Meinung ein und bekomme einen weiteren Hinweis. Infolgedessen baue ich dieses Ergebnis in meine Diagnose mit ein.
FF Was sind die die zentralen Erkenntnisse aus Ihren Studien, die Sie weitergeben möchten?
Prof. Dr. Holger Hänßle Ich glaube, für den Anwender ist es wichtig zu verstehen, dass die KI ein Assistenzsystem ist, ähnlich wie der Spurhalteassistent in einem Auto. Man kann viele Assistenzsysteme haben, die die Sicherheit erhöhen und dabei helfen, dass etwas ganz Schlimmes nicht übersehen wird. Aber ich bin nicht so weit, dass ich es als autonomes Fahren betrachten kann. Die Künstliche Intelligenz hat ein Training erhalten, schätzt Änderungen auf der Grundlage dieser Trainingsdaten ein und gibt einen Hinweis, vergleichbar mit der Warnung des Fahrspurassistenten: „Vorsicht, da könnte etwas sein!“.
Es ist aber nur ein Baustein – das Alter des Patienten, die gesamte Vorgeschichte, Risikofaktoren, all diese Dinge sind ebenso wichtig. Die Menschen neigen zur Bequemlichkeit und wollen eine Maschine haben, die ihnen sagt, was zu tun ist. Doch genau hier liegt die Gefahr, denn dann können schlimme Fehler passieren. Der Arzt hat das Steuer selbst in der Hand und lenkt das Fahrzeug nach eigenem Ermessen. Das ist für mich sehr wichtig. Vielleicht ist das der wichtigste Hinweis: kein blindes Vertrauen in die KI.
FF Wie ist Ihr Fazit zu Workflow und Praxis im Zusammenspiel von Ganzkörperkartografie, Dermatoskopie und AI?
Prof. Dr. Holger Hänßle Ich finde, FotoFinder ist eine der Firmen, die sehr viel Wert auf den Workflow legen und deshalb ist die Anwender-
Ergonomie auch wirklich sehr gut. Da greift das eine in das andere. Ich habe die entsprechenden Querverbindungen aus den Übersichtsbildern in die Dermatoskopie. Natürlich muss jeder seinen eigenen Workflow in der Praxis finden. Also wer macht die Bilder? Was kann ich an meine Praxisassistenz delegieren und was ist Aufgabe des Arztes? Und eben das Zusammenspiel von Workflow und Bildqualität von FotoFinder ist für mich ausschlaggebend.
FF Wie sieht Ihrer Meinung nach der Hautcheck in Zukunft aus?
Prof. Dr. Holger Hänßle Ich stelle mir das so vor, dass wir uns den Patienten mit dem Total Body Mapping ansehen und schon beim Screening sagen können, was mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit gutartig ist. Dann könnte sich die Aufmerksamkeit des Arztes auf nur zwei oder drei Hautläsionen richten. Die Software würde mithilfe einer roten Fahne sagen, wo man suchen muss, was das Screening wirklich erleichtern würde. Im Moment ist es noch so, dass der Arzt sich den Patienten selbst gründlich ansieht. Aber ich denke, die Auflösung der Ganzkörperbilder wird noch besser werden, sodass eine KI auch dort eingesetzt werden kann.
Das Persönliche zum Schluss
Dermatoskopie ist für mich:
Leidenschaft
Ein Tipp an Ihr jüngeres Ich:
Geduldiger sein
Lebensmotto:
Freude an der Leistung